Selbsterkenntnis und Eigensinn


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7.6 I Das Ich untersuchen

7 Wo und was ist Ich?


Albert Schweitzer sagte "Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will". Ich mache dasselbe an meiner Selbstverantwortung fest, meiner ununterbrechbaren Wahr-Gebung, wie ich mich in die Welt stelle, und Wahr-Nehmung, wie ich glaube, diese Welt wirke auf mich.

In der mailingliste loving-what-is untersuchte Brian Adler seine Gedanken zum
Ich:

Ich kann diese Gedanken über dieses
Ich Bin auch als Gedanken untersuchen: Ich Bin. Ist das wahr? Es scheint so, zumindest fühlt es sich wahr an. Hier erinnere ich mich, daß der Körper einfach antwortet auf was immer ich in meinen Gedanken nachhänge und der mir damit das Gefühl von Wahrscheinlichkeit gibt. Es ist dasselbe mit dem Ich Bin wie mit jedem anderen Urteil.

Ich Bin - kann ich sicher sein, daß das wahr ist? Nein, kann ich nicht, denn alles was ich bemerken kann, sind Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, aber kein Ich.

Und wie reagiere
ich, wenn ich einem Gedanken nachsinne "Ich Bin" oder wie reagiert das Körpergefühl? Mir steigt Enge in der Brust auf, Furcht, Furcht vor Verlust, vor Tod, vor Veränderung, vor Unsicherheit. Es quält mich, wie lebe ich denn? Wie fühle ich denn? Bin ich glücklich? Bin ich erfolgreich? Bin ich geschickt? Werde ich gemocht? Werde ich geliebt? Werde ich bewundert? Wenn ich über Ich nachdenke, wandert die Aufmerksamkeit nach innen, verändert sich von Wahrnehmen zu quälenden Gedanken, zu endlosen inneren Monologen.

Wie behandele ich andere, wenn ich dem
Ich Bin nachhänge? Ich sehe sie in Begriffen, entweder ob sie für oder ob sie gegen mich sind. Sind sie nicht für mich dann sind sie gegen mich. Ich urteile über sie. Und noch genauer; wenn ich an diesem Ich Bin hänge, erinnere ich mich, wie oft meine Frau etwas getan hat, das nicht nett, nicht liebevoll zu mir war. Ich denke über die Zukunft für mich nach, mache mir Sorgen über die Finanzen, die Gesundheit, den Urlaub für mich. Noch genauer, ich sitze herum und denke und denke über mich, wenn ich dem Gedanken nachsinne Ich Bin.

Was im Besonderen tue ich oder tue ich nicht, wenn ich dem Gedanken nachsinne
Ich Bin? Mir scheint, ich vermeide, daß Dinge erledigt werden oder ich fühle Bedauern, daß ich Dinge zu erledigen habe, wie den Abwasch machen, Alltagskram. Ich mache nicht den Alltagskram, wenn ich dem Gedanken nachsinne Ich Bin.

Wie im Besonderen behandele ich dann andere? Ich versuche, von ihnen Liebe zu kriegen, während ich sie ihnen vorenthalte. Noch spezieller: Ich sage meiner Frau, sie liebt
'mich' nicht genug, weil sie zu sehr 'sich selber' in den Mittelpunkt stellt.

Wie fühlt es sich an, wenn ich in dieser Weise reagiere? Stressig, manchmal äußerst stressig, eng, dicht, zusammengezogen, beschränkt, Angst machend.

Könnte ich einen Grund sehen, den Gedanken fallen zu lassen
Ich Bin? Das schaffe ich nicht. Das landet höchstens in irgendwelchen komischen spirituellen Sucher-Phantasien. Ja, es gäbe schon eine Menge Gründe.

Wer wäre ich ohne den Gedanken
Ich Bin? Niemand besonderes. Wer wäre ich mit meiner Frau? Ein Zuhörer, ein Freund, ein Liebhaber. Wer wäre ich in der Küche? Beim Geschirrspülen, Alltagskram, nichts Besonderes. Stehen, sitzen, liegen, essen, ich täte, was immer ich tue, bin der ich bin, tu was ich tu. Nur Worte, um einen gewöhnlichen Moment relativer Ruhe zu beschreiben.

Wie kann ich das umdrehen
Ich Bin? Ich bin - ich bin nicht - kann ich das finden? Nur wenn ich nicht danach gucke. Paradox.

Wir bemerken dieses Paradoxon, wenn wir das
lebendige Leben direkt untersuchen und das von und mit unserem Herzen erfahren als Bewußtheit oder mit unserem Körper fühlen als Körpergewahrsein. Wir können dieses Fühlen ertragen und zu guter Letzt müssen wir es. Dieses Verständnis markiert den Übergang von der Benutzung spirituellen Wissens als Hilfsmittel oder als Medizin gegen Leiden hin zu einer Entwicklung des Mutes zum Leben, wie es ist. Warum sollte ich dann noch meine Gedanken untersuchen?

Die kurze Antwort ist, daß dieses Herumhängen in einer Drumherumgeschichte das ist, was wir immer tun, wenn wir nicht in unserem Fühlen unseres Seins sind, so wie ich das oben beim Untersuchen des
Ich bin beschrieben habe. Umgekehrt, wenn ich nicht in einer Geschichte festhänge, was dann übrig bleibt ist die Bewußtheit dessen, was ist, gefühlt mit dem ganzen Körper. Dies ist vergleichbar dem Zustand, der erst kürzlich neu entdeckt wurde als die normale Befindlichkeit von Neugeborenen und dann noch einige Zeit bei Säuglingen. Der Satz im Neuen Testament "so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so wird das Himmelreich nicht euer sein" bekommt eine völlig neue, handgreiflich praktische Dimension.

Das Motiv, solche Untersuchung zu machen, die ja auch immer wieder funktioniert, das ist, um zu erforschen, wo und wie wir argumentieren mit dem was ist, und zu erforschen, welches der Argumente dasjenige ist, welches das Leiden an der Realität ausmacht. Anders gewendet, Fühlen, ungeachtet wie intensiv es sei, ist nicht der Grund für Leiden. Unsere Gedanken über das, was wir fühlen, sind die Ursache für Leiden. Körpergewahrsein oder Bewußtheit von Sein, Sichselbstvergessen sind nur unterschiedliche Weisen von Beschreibung der Wahrnehmung, wenn ihr relativ wenige Geschichten im Wege stehen und diese Bewußtheit stören.

Ich frage "wer bin ich?" und habe keine Idee. Ich habe Angst, das Feuer der Untersuchung könnte alles wegbrennen, alles Schlacke und es bleibt kein Gold. Brian Adler, ein lange praktizierender Buddhist schreibt weiter, im Rückblick waren nicht die Erfahrungen das Erschreckende, sondern die Gedanken darüber. Er habe immer wieder gefunden, daß der Unterschied zwischen den tiefsten Höllen und dem tiefen Frieden einzig in einem kleinen Gedanken lag wie: 'Dies sollte nicht passieren'.
Dieses Wissen, das die Buddhisten 'Leere vom Selbst' oder 'Ichlosigkeit' oder 'Freiheit von der Illusion des Ich' nennen, ist entweder wahrhaftig und zutiefst erschreckend oder wahrhaftig und absoluter Friede, Stille - oder vielleicht besser: 'ganz normaler und ganz gewöhnlicher perfekter Friede'. Das alles hängt davon ab, ob ich dabei eine Geschichte habe oder nicht. Wenn es eine Geschichte gibt, so ein 'Dies sollte (mir) nicht passieren', dann ist die Untersuchung meiner Gedanken noch nicht erledigt.




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