Selbsterkenntnis und Eigensinn


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7.3 Glauben

7 Wo und was ist Ich?


Im Radio vertrat ein Kommentator die These, jede Religion habe das Recht, sich über alle anderen Religionen zu erheben, müsse aber auf gewisse Grenzen des Anstandes achten (mit anderen Worten: sie darf Gewalttätiges behaupten, aber nicht ausführen). Wieso, frage ich mich.

Jeder Mensch schafft sich ja einen eigenen Glauben, zumindest in Nuancen, und bei manch einem kaum nachspürbar - und doch eigenständig. Ist es überhaupt möglich, daß zwei dasselbe meinen, wenn sie das Wort "Gott" in den Mund nehmen? Mir wurde bewußt, daß die Frage "Woran glauben Sie?" sich auch übersetzen läßt mit "Wonach suchen Sie?". Wieso darf das Heilige - meint, das Unbeschmutzte? - in vielen Traditionen nicht beschrieben werden. Es könnte sein, daß das Heilige uns davor bewahren soll, unser Ich als heilig zu erachten und die Menschheit über die Schöpfung zu stellen.

Auf seiner Bayern-Reise 2006 betonte Papst Benedikt XVI bei seiner öffentlichen Predigt in Regensburg die Bedeutung des Glaubens in der rationalen Welt. "Die Vision des Glaubens umfaßt Himmel und Erde; Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Ewigkeit und sie ist insofern gar nie auszuschöpfen. Und doch ist sie in ihrem Kern ganz einfach. ... Die Sache mit dem Menschen geht nicht auf ohne Gott, und die Sache mit der Welt, dem ganzen Universum, geht nicht auf ohne ihn. Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Schöpfergeist, der alles wirkt und sich entfalten läßt oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im letzten also doch auch etwas Unvernünftiges. Wir Christen sagen: Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde an den Schöpfer Geist. Wir glauben, daß das ewige Wort, die Vernunft am Anfang steht und nicht die Unvernunft. ..."

Später, vor Professoren der Regensburger Universität, an der er von 1969 bis 1977 als Dogmatik-Professor lehrte, mahnt der Heilige Vater mit ebenso einfachen Worten Selbstbesinnung an, "Heute, wo wir die Pathologien und die lebensgefährlichen Erkrankungen der Religion und der Vernunft sehen, die Zerstörungen des Gottesbildes durch Haß und Fanatismus, ist es wichtig, klar zu sagen, welchem Gott wir glauben - und zu diesem menschlichen Antlitz Gottes zu stehen. Erst das erlöst uns von der Gottesangst, aus der letztlich der moderne Atheismus geboren wurde."

Manchmal scheint es mir angenehmer, die Ohren den lauten, ja hysterischen Schreien der Besserwisser des Glaubens zu verschließen. Meine persönliche kleine Predigt würde sich gegen die Idee der Blasphemie richten. Sie würde behaupten, daß jeder, der andere der Blasphemie zeiht, selbst Blasphemie begeht, weil er Gott auf ein menschliches Maß reduziert. Ich würde argumentieren, daß Gott klein zu machen eine größere Blasphemie ist, als seine Existenz zu leugnen. Und daran erinnern, daß die Sprache des Menschen den Umfang des Göttlichen nicht ermessen kann, insofern alles, was über Gott gesprochen wird, eigentlich nicht von Gott handelt, und somit das Heilige nicht schmähen kann. Und weil jede gute Predigt mit einigen passenden Zitaten auftrumpfen muß, würde ich Robert Musil zur Unterstützung herbeirufen: "Gott mit einer menschlichen Moral zu identifizieren ist Blasphemie!"

Wenn mit 'Gott' gemeint ist "Hin zur AllEinheit, zu höherer Komplexität in höherer Ordnung. Im ewigen Kreislauf", dann kann ich das gut nachvollziehen. Doch, woraus der Atheismus geboren wurde, sei dahingestellt. Könnte es sein, daß es die von Benedikt so in den Vordergrund gestellte Vernunft war, die schließlich an dem für diesen katholischen Gott geforderte menschlichen Antlitz verzweifelte? Wir kennen nur Menschen, die verfangen sind in ihren Überzeugungen. Überzeugungen erzeugen Kampf mit der Realität. Verstand und Vernunft sind sehr schwächliche Werkzeuge beim Erforschen und zum Verändern der Gebirge des Unbewußten. Kognitive Modelle sind Glaubensgebäude.

Solcher Glaube an die Macht des Kognitven führt zu Bekenntnisrhetorik und einer gewisse Starrheit zum Eindeutigen - wie jeder Glaube. Menschen sind nicht so einfach gestrickt. Solcher Glaube will immer Totalität. Totalitäre Systeme sind solche, in denen die größte Gewissheit darüber besteht, was richtig und was falsch ist. Wer in einer Gewißheitswelt groß geworden ist, scheut Ambivalenzen wie der Teufel das Weihwasser.

Luthers grundstürzendes Lesefrüchtchen, das er formulierte "Ihr sollt gerecht werden nicht durch die Werke, denn allein durch den Glauben" - "Sola gratia - Sola fide" (allein die Gnade Gottes, seine geschenkte Gerechtigkeit - allein der Glaube, der dies geschehen sein läßt, nicht mehr, aber auch nicht weniger) weist in eine andere Richtung. Wenn ich von seinem Satz die Ideologie abblättere, was meint in meiner Wahrheit
Werke und Glaube?

Werke, das sind alle die Folgerungen aus diesen Geboten und Verboten: hier nur Gemüse essen, dort gemischte Kost; hier ist Schweinefleisch unrein, dort ist es heilig; hier die lebenslange Einehe, dort die Mehrehe als ein Mann mit mehreren Frauen oder eine Frau mit mehreren Männern; hier muß man im Gebetsraum den Hut absetzen, dort den Kopf bedecken. Die Liste der 'du mußt' ist so endlos, wie die Kulturen und Zeiten, aus denen sie kommt.

Glauben meint nicht das 'credo quia absurdum' ('ich glaube, weil es widersinnig ist'; das heißt, weil es das Fassungsvermögen der Vernunft übersteigt), meint nicht das Fürwahrhalten suggerierter Vorstellungen oder mit viel Gefühl und wenig Verstand gelernter Theorietexte - das gehört zur Liste der Werke. Doch so muß ich Benedikts Konzept von 'Glauben' verstehen.

Glauben, nicht nur in der lutherischen Richtung, ist die Achtsamkeit in Klarheit und neuer Entscheidung in jeder Sekunde für das angestrebte Ziel. Dieser Impuls meiner Entscheidung wirkt auf die umgebenden Systeme und kann ihre chaotische Unwißbarkeit für einen Moment miteinander verschränken. Glauben im Alltag wirkt dasselbe, nur ohne Achtsamkeit, ohne Klarheit für das Ziel. Beide aber können Berge versetzen. "Bestellservice des Universums".

Eines der Ziele ist auch, daß ich mich nicht mit Willen beschmutze in meinen biologischen, sozialen und geistigen Beziehungen zur Umwelt. Biologisch am Beispiel der Nahrung: Dankbar und achtsam will ich die Mitgeschöpfe, Mineral, Pilz, Pflanze, Tier, verzehren, die ich zum Erhalt des Körpers benötige. Denn ich, dieser Körper ist mit allen verwandt und er braucht diese Ähnlichkeiten zu seinem Fortbestand. Staunend stehe ich vor vegetarischen Eiferern, die sich vor seelischer Vergiftung durch Leichenteile fürchten, wohlgemerkt, nur von Tierleichen, nicht von Pflanzen-, Pilz- oder Mineralleichen - anthropozentrischer Chauvinismus
[1]. Die Umwelt ist voller Gifte, chemische, seelische und viele schlimmere Arten. Ist es doch nicht die Substanz, sondern ihre Dosis zusammen mit der individuellen Einstimmung darauf, die die Giftigkeit ausmacht. Mein Job ist es nicht, mich davor angstvoll zu schützen, sondern beherzt um sie herum zu leben, sie lebensmutig durch mich schadlos hindurch zu lassen.

Das Gleiche gilt für mich als Körper in meinen sozialen Beziehungen zur Umwelt. Ich will nicht mich sozial ausgrenzen, meine Mitgesellen in dieser Gesellschaft ausbeuten oder in dieser monogam gestimmten Gesellschaft sexuelle Parallelbeziehungen pflegen. Das macht ziemlich viel Streß. Die Verbindung mit mehreren Ehefrauen und Langzeitpartnerinnen nacheinander war, jedenfalls für mich, mein notwendiger Entwicklungsweg. Und ich bin jeder von ihnen dankbar, nicht nur, daß jeder dieser Zeiträume im Rückblick so reich ist, sondern vor allem für das, was ich durch die Gefährtinnen lernen konnte. Ohne sie, jede dieser einzigartigen Menschen, wäre ich nicht der, der ich heute bin.

Durch meine erste große Liebe lernte ich, dass ich liebenswert bin, so wie ich bin; sie hat mich geweckt aus der Duldungsstarre gegenüber meinen Zentralsozialpartnern. Durch meine zweite große Liebe lernte ich, dass ich als Körper Freude bin für mich und sie; sie hat mich geweckt aus der Körperfremdheit zwischen meinen Zentralsozialpartnern. Durch meine dritte große Liebe lernte ich, dass ich in einer großen Familie mich und mich in dieser Gemeinschaft wertschätze; sie hat mich geweckt aus der Bezeihungslosigkeit zwischen meinen Zentralsozialpartnern. Durch meine vierte große Liebe lernte ich, dass wir gemeinsam Großes in die Welt bringen können und "ich bin nicht für Dich verantwortlich" eine Liebeserklärung ist. Und durch meine fünfte große Liebe, die nun schon über zwanzig Jahre andauert, lernte ich, dass wir jeden Stress sofort zum Ausdruck bringen können und dass das kein Angriff ist – was auch passiert, wie verrückt sich einer von uns benimmt, das ist kein Angriff auf den Anderen. – Und noch etwas: Jede dieser Frauen und jeder meiner Freunde beschreibt einen anderen "Jans", hat also eine ganz andere Person erlebt, auch anders, als ich mich in der jeweiligen Beziehung erlebt hatte – wer ist "Ich, Jans"?

Glauben, das meint auch die Entscheidung, in jeder Sekunde neu möglich, für meinen Weg, meine Wahrheit und mein Leben. Auch eine Art von Mut und Entschlossenheit. Entscheide ich mich für Opfer-sein und Leiden, dann werde ich Opfer und leide; für Macht, kommt Macht; für Dunkel, dann nähert sich Dunkles und Liebe zum Dunklen; für Licht, dann nähert sich mir Lichtes und Liebe zum Licht.

Es gibt nicht 'Schuld' in diesem Universum, nur Entscheidungen und danach Entwicklung bis zur nächsten Entscheidung. Karma? Jede Entwicklung hat Folgen und so sammle ich weißes oder schwarzes Karma. "Du bist schuld" sagen zu mir nur die Anderen aus der Sicht ihrer Angelegenheiten. "Ich bin schuld" ist gehorsames Nachgeplapper. Licht und Dunkel ist keine Wahl zwischen Schuld und Unschuld. Es ist die Wahl zwischen Unvereinbarkeiten.
[2]

Glauben ist persönliche Entscheidung, die auch darüber bestimmt, wie ich die Daten aus meiner äußeren Welt in Relevanz zu meinen Informationen und die relevanten Informationen in den Kontext meines Wissens einbinde, wie ich die Fülle organisieren will, die der Eigenschaften und die der Gegebenheiten, der Virtualitäten und Realitäten, mein Wahrnehmen und mein Wahnnehmen. Das sind Entscheidungen, nicht Entschließungen (vgl. 4.13 Entscheidung).

Die alten Männer, die Wächter der Lehre, wärmen ihre Hände in der Abendsonne des Begründers ihrer Lehre. Das nennen sie Religion (von lat. "religiosus = gewissenhaft, fromm, heilig, voller Bedenken, (Adj.) ängstlich, andächtig" und "religio/religionis = die Religion, der Glaube, der Kult, die Besorgnis, die heilige Scheu, die Bedenken, (Pl.) der Zweifel", aus "religare = anbinden, festbinden, zurückbinden"). Die alten Männer wissen tausend Gründe, daß hier Entschließung notwendig sei. Das Erlebnis, daß den Begründer ihrer Lehre zu seiner Entscheidung führte, davon mögen sie erzählen, als Buchstabenwissen, sein lebendiges Wissen ist nicht übertragbar.

Doch, was wissen wir schon über fremde Religionen. Die Debatte über "Islamismus" ist ein treffliches Beispiel. Da wird politisches Kalkül vermischt mit Halbwissen. Richtig dumm wird das, wenn eine Religion vermischt wird mit ihren folkloristischen Ausprägungen. Wenn die "Ehre der Familie" von den Männern zwischen den Beinen ihrer Frauen und Töchter gesucht wird, wenn ein weltweit wohl als "normal" geltend angezogener Mann von einem schwarzen Gespenst begleitet wird, wenn von patriarchalischen Verhältnissen die Rede ist, dann sind Frauenunterdrückung und Patriarchat keine speziellen Eigenarten muslimischer oder hinduistischer Gesellschaften. Sie sind vielmehr typisch für viele nichtsäkulare Gesellschaften (aber nicht nur für diese), und dies kulturübergreifend. Als ich in den 60er Jahren in Persien war, schockierte mich diese Form des traditionellen Patriarchats, die ich ja ansatzweise aus dem bäuerlichen Teil der Familie meiner Mutter kannte. Dass diese mittelalterliche Form von Unterdrückung jemals nach Europa kommt, konnte (und wollte) ich mir nicht vorstellen.

Es ist schon beeindruckend zu sehen, welchen öffentlichen Raum die Religion mittlerweile wieder einnimmt. Vor zwanzig Jahren noch gab es in Rathäusern besondere Büros für Kirchenaustritte. Und schließlich ging die Initiative Pro Reli an den Start, um Religionsunterricht in Berlin wieder einzuführen, damit die Kinder die Grundlagen ihrer eigenen Überzeugung kennenlernen und damit das eigentliche Fundament ihrer ethischen und moralischen Vorstellungen.

Aber das Attentat vom 11. September 2001! George Bushs Ankündigung des Krieges gegen den Terror kopierte die Verve, die das auslöste, projizierte den vermeintlichen Heroismus auf sich selbst, griff aber ins Leere: Jeder, wirklich jeder Mensch weiß, dass ein solcher Krieg nicht zu gewinnen ist. Aber dass dieser Mechanismus - Religion zu sagen und Politik zu meinen - bis heute der große Schrittmacher ist, das ist ganz schlecht.

Dabei hat der 11. September 2001 nichts mit dem Islam zu tun, das über reinen Zufall hinausgeht. Der Islam ist nur ein Vorwand, und nützliche Antworten auf die Frage nach den Gründen des Attentats findet man nicht in alten Schriften, die sicher auch belegen, dass Frankreich Deutschlands Todfeind Nummer eins ist. Man findet sie in der jüngsten Konfliktforschung. Unbemerkt von Debatten über Phobien und Rassismus arbeitet sie an spannenden Thesen. So wird etwa ein Zusammenhang zwischen mangelnden Aufstiegschancen junger Männer und ausbrechender Gewalt untersucht.

Zwar ist eine strenge Korrelation zwischen Demografie und Konflikt noch nicht gesichert, auffällig ist aber, dass Gewalt ansteigt, wenn es sehr viele Männer im Alter zwischen 16 und 25 gibt. Islamische Länder verfügen derzeit überproportional häufig über einen Jugendüberschuss. Und es gibt es einen kuriosen Effekt: Gesellschaften mit einer hohen Aids-Rate sind resistenter gegen Konflikte als andere, weil die höheren Positionen häufiger vakant sind. Islamische Länder weisen wegen ihrer strikten Sexualmoral eine niedrige Aids-Rate auf.

In Deutschland ist die Demografie, so beklagen die Forscher, wegen ihres Missbrauchs durch die Nazis noch immer diskreditiert. Das ist schlecht. Denn man vermutet sogar, dass eine Bildungsexpansion die Korrelation zwischen Demografie und Konflikt noch verstärkt: "Übergroße Jugendkohorten mit guter Ausbildung lassen sich von Knappheiten in der Gesellschaft noch stärker frustrieren als unausgebildete", schreibt Steffen Kröhnert vom Berlin Institut: "Bildung steigert nicht nur den Wert der Arbeitskraft, sondern auch die Erwartungen an eine entsprechende soziale Position."

Die These bietet aber doch eine andere und hilfreichere Denkfigur für Mohammed Atta als die religiöse Verortung. Atta legte in Hamburg übergroßen Wert darauf, besser Deutsch zu sprechen als die Deutschen. Ein kleinlicher Wunsch, den er übrigens mit Maxim Biller gemein hat. Wir haben das Glück, dass der Künstler Biller nicht nur über genügend Humor verfügt, um in diesem Wunsch herumzubohren, sondern auch über genügend Intellekt, um festzustellen, dass der Wunsch beim besten Willen nicht auf sein Judentum zurückzuführen ist: Genau diese Erkenntnis schützt ihn vor der Eskalation.

Für den Terroristen Atta galt das nicht. Er war nicht so intelligent, wie er meinte, dachte und wollte. Sein Islam, oder was er dafür hielt, kam ihm gerade recht, nicht mehr und nicht weniger. Man sollte schon aufpassen, dass man nicht auf ihn reinfällt oder wie manche Verlage gar seinen Windschatten nutzt. Denn politisch gibt es überhaupt nichts zu diskutieren: Es herrscht Religionsfreiheit und Minderheitenschutz, beides hat sich der freiheitlichen Grundordnung unterzuordnen. Für Burkaverbote und Beleidigungen gibt es rechtsstaatliche Mittel zur Meinungsfindung. Es ist ja gerade die Stärke der offenen Gesellschaft, hierfür Prozesse anzubieten, statt rigide zu urteilen. Mit Militanz haben sie wenig zu tun. Was auch immer in Schriften zu finden und in Schlachtgesängen zu hören ist: Im Stadion randaliert stets eine Minderheit. Ein Attentat ist kein Kunstwerk und keine Mutprobe und auch kein Krieg, sondern ein Attentat. Ein Verbrechen. Wie so oft, wurde es auch in diesem Fall aus niedrigen Beweggründen verübt, darunter Größenwahn und Überdruss.

Der Jugendüberschuss der islamischen Länder geht übrigens bald zu Ende, wenn Zahlen und Theorie stimmen. Außerdem fand ja Pro Reli auch keine Mehrheit, die Weltreligionen sind keine Bestseller, denn vielleicht müssen sich Bücher heute Vertrauen doch eher erwerben, statt es einzuflößen. Und Martin Mosebach stellte fest, dass die meisten Menschen vom Papst vor allem sein Kondomverbot kennen. Die religiöse Rückkopplung des 11. September ist daher wohl doch nur eine so vorübergehende Erscheinung, die in den Nervenbahnen des Zeitgeistes verebbt wie ein Rausch. Gut so: Die äußerst spannenden Ergebnisse der Konfliktforschung versteht man eh nüchtern am besten.

Auch die Debatte über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Mönche in katholischen Schulen geht an der Sache vorbei. Es gibt für Kinder gefährlichere Orte als die katholische Kirche. Darauf wies Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hin. In der Familie sei das Risiko 36 mal größer, dass Kinder und Jugendlich zum Opfer von sexuellem Missbrauch werden als beim Kontakt mit einem katholischen Priester.
"Im Raum der katholischen Kirche wiegt der Missbrauch besonders schwer, weil es ein besonderes Vertrauen von Kindern in den Priester gibt."

Nachtrag (04.04.2010): Tja, die Aussagen werden immer absurder. Anläßlich der Ostermesse in Rom sagt Kardinal Sotano: "... Heiliger Vater, die Menschen Gottes sind auf deiner Seite und werden sich nicht von dem belanglosen Geschwätz dieser Tage beeinflussen lassen, von den Prüfungen, denen die Gemeinschaft der Gläubigen ausgesetzt ist". Die Diskussionen in den Medien seien nichts als der Versuch, der Kirche zu schaden. - Wer bitte kann eine Kirche noch ernst nehmen, die die Mißbrauchsvorwürfe als "belangloses Geschwätz" bezeichnet?


Das Problem ist die strukturelle Sexualfeindlichkeit dieser Kirche. Die katholische Kirche mit dem Vatikan an der Spitze selbst ist der Herd, auf dem der Brei aus sexueller Verklemmung, halbsadistischem Geifer gegen SchülerInnen an deren Lehranstalten und in deren Gemeinden sowie der Pose der ahnungslosen Unschuld unappetitlich köchelt. Allenthalben werden seit zwei Jahrzehnten Skandale aufgedeckt, in deren Mittelpunkt stets der katholische Klerus steht. Männer, die, versehen mit religiöser Autorität, sexuelle Gefälligkeiten von männlichen und weiblichen Kindern und Pubertierenden erschleichen oder erzwingen. Und wie Aussagen aus den USA, Irland und Australien belegen, stets von den Tätern gegenüber ihren Opfern mit dem Hinweis versehen, dass man ihnen nicht glauben werde, schwiegen sie nicht, und dass es Gottes Wille sei, was da passiert.

Es hat System, dass all diese Fälle aus einer Glaubensgemeinschaft heraus berichtet werden, die ihre Priester auf Antisexualität einschwört und Sex lediglich im Zusammenhang mit dem Zweck der ehelichen Fortpflanzung akzeptiert. Entsprechend ist die Politik der katholischen Zweige, angeheizt seitens des Vatikan, in allen Ländern, in denen in den vergangenen Jahren Gesetze zur Homoehe oder zum Verbot der Diskriminierung von Homosexuellen etabliert wurden. Immer waren es Katholiken, die diese Liberalisierungen zu verhindern, mindestens zu unterlaufen suchten. Auch diese Doppelmoral kenne ich aus der katholischen Familie meiner Mutter.

Voltaire hat gegen Fanatismus und für Toleranz seine Religionskritik in Frankreich erhoben. Es ist entscheidend, daß der Kampf der Aufklärung und besonders Voltaires lebenslanges Wirken nicht gegen das Christentum oder gegen den Glauben an einen Gott gerichtet waren, sondern gegen Gewalt, Unrecht und Verfolgung durch eine intolerante, abergläubische und die Aufklärung unterdrückende Kirche. Voltaires Schlachtruf "Écrasez l'infâme!" (= Vernichtet die Schändliche) bezog sich auf die mittelalterlichen Überreste unkontrollierter kirchlicher Macht.

Egal, wohin die Reise jedes Einzelnen von uns geht, der Weg möge beschritten werden mit Erkenntnis und Mitgefühl.



  • [1] Dazu Floriane Koechlin "Pflanzenpalaver"; 2008, Basel. Dort die "Rheinauer Thesen zu den Rechten von Pflanzen".
  • [2] Gerald Messadié untersuchte in "Teufel Satan Luzifer - Universalgeschichte des Bösen" (Frankfurt, 1995) die Glaubensgebäude von vielen Kulturen in vielen Zeiten nach ihren Anschauungen über das, was für sie Gutes und Böses bedeutet. Er fand viele Dämonen und Götter, die den Menschen Schlechtes tun, die sich die Menschen als Spielball bösartiger Mächte fühlen läßt. Aber die Idee des metaphysischen Bösen erfand erst das Königtum in Mesopatamien. Erst ab Sumer hat es Religionen hervorgebracht, die die Menschen bis ins Innerste versklavt haben, und zwar aus rein politischen Gründen. Die "Schuld" war die Frucht politischer Erfindungen, und zwar der Beamten, die mit kleinlicher Gewissenhaftigkeit eine brutale Theokratie verwalteten, 35 Jahrhunderte vor den Berechnungen Machialvellis. Von denen lernten die Juden in ihrer babylonischen Gefangenschaft und von diesen lernten die Organisatoren des Christentums.




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