Neulich habe ich die Seite http://ptbs-eisblume.de gefunden. Eisblume ist eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von an PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) erkrankten Soldatinnen und Soldaten. PTBS kann das Trauma nicht vergessen; ein Geruch, ein Geräusch und aller Schrecken ist wieder da. Die Erinnerung frisst den Alltag; die sozialen Beziehungen, Familie, Beruf zerbrechen. Es scheint für die/den Betroffene/n schwer zu sein zu erkennen, das er/sie Probleme hat und dass diese auf bestimmten persönlichen Erlebnissen basieren. Und es scheint für die Angehörigen/Beteiligten noch schwerer zu sein, sich nicht in den Strudel des/der Betroffenen mit hineinziehen zu lassen. PTBS und seine Folgen sind in der Gesellschaft weitgehend unbekannt und das Krankheitsbild widerspricht unserer Vorstellung vom gut-funktionieren und allzeit-fit-sein.
Es ist noch nicht so lange her, da haben die Psychiater gesagt, „tut uns leid, wir können diesen Zusammenhang zwischen Krieg und psychischen Auffälligkeiten nicht herstellen“. Es ist frappierend, dass trotz der Erfahrung von zwei Weltkriegen die psychiatrische Lehrmeinung über eine grenzenlose seelische Belastbarkeit des Menschen nicht erschüttert wurde. Diese Betrachtungsweise findet sich in ganz Europa. Offenbar liegt aber in Deutschland noch immer ein besonders dickes Tabu darüber, speziell unser deutsches Opfer-Tabu, dies zu erkennen, auch bei dem alltäglichen, würdelosen Umgang, inzwischen weitgehend öffentlich und gesetzlich verbrieft, mit allen Abhängigen, wie z.B. Arbeitslosen, Angewiesenen auf Sozialhilfe, Asylanten, Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen, Kindern und Alten. Und genauso dies zu erkennen an den Arbeitsbedingungen von und dem Umgang mit den Menschen, die berufsmäßig mit Abhängigen zu tun haben, wie z.B. Krankenschwestern, Altenpflegern, Lehrern, Arzthelferinnen, Sozialarbeitern. (Vgl. „Selbsterkenntnis und Eigensinn„). Wir Deutschen sind eben wohl überwiegend Kriegskinder und Kinder bzw. Enkel von Kriegskindern, groß geworden im Schatten der Traumen, also der Ängste und Kontrollfantasien daraus von unseren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern.
„Wer wir sind, hat mit Erinnern zu tun“ ist die Überschrift eines großen Artikels zu Demenz in der taz (25.2.2012 Sonntaz Nr. 9737, Wissenschaft, 250 Zeilen, WALTRAUD SCHWAB S. 22). Es antwortet Gabriele Kreutzner, stellvertretende Vorsitzende des bundesweiten Vereins Aktion Demenz (www.aktion-demenz.de). Sie sagte u.a.:
„… Vergessen und Erinnern sind sehr zentral für unsere Identität. Mit Vergessen und Erinnern gestalten wir unser Bild von uns selbst. Wer wir sind, hat mit Erinnern zu tun. Wenn das Erinnern aber plötzlich auf eine Art brüchig wird, die wir nicht mehr kontrollieren können, dann wird unsere Identität infrage gestellt. Wer sind wir, wenn wir nicht mehr wissen, wer wir waren? [Früher] galten die Prämissen der biomedizinischen Forschung, die an Zellvorgängen ansetzt. Vor zehn Jahren etwa kamen neue Denkrichtungen aus der Psychologie und der Pflege dazu. Der relationale Subjektansatz – soll heißen: Du bist nicht etwas und bist das für immer, sondern es ist ein stetiges Werden, und es findet im Austausch mit der Umwelt statt. [In Bezug auf Demenz heißt das,] dass man zuerst die Person sieht, nicht die Krankheit, weil die Person eben nicht mit der Krankheit verschwindet. Ja. Christian Zimmermann, ein Autor mit Alzheimer, der in einer Selbsthilfegruppe in München aktiv ist, hat gesagt: Du musst beides überwinden – die Angst und die Hoffnung. Gemeint ist die Hoffnung auf Heilung. Demenz ist in erster Linie eine soziales Schicksal und eine soziale wie kulturelle Herausforderung. Deshalb ist es so fatal, wenn man bei Demenz nur dem medizinischen Diskurs folgt. Das verhindert, dass wir gucken, wie wir als Gesellschaft damit umgehen. Wir werden vermutlich immer mehr Menschen haben, die mit einer Demenz leben. Deshalb müssen wir unsere Ängste anschauen und fragen: Warum haben wir die, und was verhindern die? Je mehr wir aber merken, dass wir so wenig im Griff haben, desto größer wird bei denen, die auf diese Kontrollfantasien bauen, die Angst. …“
Zuerst, zuerst und nur die Person zu sehen mit ihren Symptomen, nicht aber abzuheben auf die Krankheit, verbindet zwei in ihrer Zeit große und erfolgreiche Ärzte. Samuel Hahnemann veröffentlichte 1833 „Organon der Heilkunst“. Er schreibt: „§. 15. Das Leiden der krankhaft verstimmten, geistartigen, unsern Körper belebenden Dynamis (Lebenskraft) im unsichtbaren Innern und der Inbegriff der von ihr im Organism veranstalteten, äusserlich wahrnehmbaren, das vorhandne Uebel darstellenden Symptome sind nämlich ein Ganzes, Eins und Dasselbe. Wohl ist der Organism materielles Werkzeug zum Leben, aber ohne Belebtheit von der instinktartig fühlenden und ordnenden Lebenskraft (so wie Lebenskraft ohne Organism) nicht denkbar, folglich machen beide eine Einheit aus, obgleich unser Verstand im Gedanken diese Einheit in zwei Begriffe spaltet, der Bequemlichkeit im Begreifen wegen.“ (Samuel Hahnemann; Organon der Heilkunst. 5.Aufl., 1833)
Neunzig Jahre später schreibt Groddeck über das Es: Ich bin der Ansicht, daß der Mensch vom Unbekannten belebt wird. In ihm ist ein Es, irgendein Wunderbares, das alles, was er tut und was mit ihm geschieht, regelt. Der Satz: »Ich lebe« ist nur bedingt richtig, er drückt ein kleines Teilphänomen von der Grundwahrheit aus: »Der Mensch wird vom Es gelebt.« Georg Groddeck; Das Buch vom Es, 1923, 2. Brief>
Nun, wieder fast 90 Jahre später, gibt es einen neuen Anlauf von Andreas Winter „Heilen durch Erkenntnis„, nach Dynamis und ES jetzt modern: Informationsmanagement. Von a wie Allergien über m wie Morbus Crohn bis z wie Zöliakie kann sich das Symptom auflösen in einer Sitzung, rückstandsfrei. Und selbst wenn nur ein Bruchteil vom Geschriebenen stimmt – und ich mach ja seit Jahren ähnliches und glaube deshalb, dass es stimmt – dann haben wir hier ein großartiges Werkzeug!
Lebenskraft, Es, wir heute würden wohl Seele oder Selbst dazu sagen – wenn wir überhaupt aus dem materialistischen und biologistischen Mainstream heraus treten mögen -, jetzt Informationmanagement. Ken Wilber, Autor im Bereich der Integralen Theorie und Systematiker von Psychologie, Philosophie, Mystik und Spirituelle Evolution, untersuchte Wege zum Selbst. (Ken Wilber; Wege zum Selbst; (1979) 2. Aufl. 2008, Goldmann Arkana, aus Vorwort, S. 7ff.) Er zeigt, wie wir uns ständig uns selber, anderen und der Welt entfremden, indem wir unser gegenwärtiges Erleben in verschiedene Teile zerlegen, die durch Grenzen getrennt sind. Wir spalten unser Gewahrsein künstlich in Abteilungen auf. Subjekt/ Objekt, Leben/ Tod, Leib/ Seele, Inneres/ Äußeres, Verstand/ Gefühl – eine Trennungsregelung, die zur Folge hat, dass ein Erleben das andere einschneidend stört und das Leben sich selbst bekämpft. Das Ergebnis ist einfach Unglücklichsein. Aber all diese Kämpfe, die wir erleben – unsere Konflikte, Ängste, Leiden und Verzweiflungen -, werden durch die Grenzen verursacht, die wir in unserem Irrtum um unser Erleben ziehen. Wilber kann zeigen, dass jede Grenze, die wir in unserem Erleben errichten, zu einer Einschränkung unseres Bewusstseins führt – zu einer Zerstückelung, einem Konflikt, einem Kampf. In unserem Erleben gibt es viele solcher Beschränkungen und Grenzen, die zusammen ein Spektrum des Bewusstseins bilden. Wir können in seinem Buch sehen, wie sich verschiedene Therapieformen verschiedenen Ebenen dieses Spektrums genähert haben. Jede Art der Therapie versucht, eine bestimmte Grenze oder einen bestimmten Knoten im Bewusstsein aufzulösen. Durch den Vergleich verschiedener Arten von Therapie offenbaren sich uns die verschiedenen Arten von Grenzen, die im Gewahrsein entstehen. Wir fangen auch an zu erkennen, wie wir all diese Hindernisse beseitigen und über sie hinauswachsen können.
Ich finde es immer wieder unglaublich, wieviele Möglichkeiten zum Leiden wir Menschen uns erschaffen, wieviele Fallen, vorallem aber, dass es immer wieder Menschen gibt, die Wege aus dem Leid neu erfinden. Wer will denn wirklich raus aus der Falle? Wilhelm Reich, in „Christusmord“, war da sehr skeptisch.
Nachtrag 4.6.12
In der taz-Nord, im Montagsinterview, fand ich heute eine Bemerkung zur Demenz von Sophie Rosentreter. Sie dreht unter anderem Filme für Demenzkranke und hält Vorträge für Angehörige und Betreuer von demenzkranken Menschen. Ihre Sicht ergänzt schön das Vorige
Die taz fragte:
„… Nach dem Tod Ihrer Großmutter hätten Sie ja auch Abstand gewinnen wollen, stattdessen haben Sie begonnen, Filme für Demenzkranke zu drehen und Ihr ganzes Berufsleben diesem Thema zu widmen. Warum?
Warum nicht?
Weil man lieber ausblendet, dass man alt wird und vielleicht dement?
Ja, aber warum?
Weil das Angst macht!
Aber es macht doch nur Angst, weil wir uns damit nicht beschäftigen. Das ist wie mit dem Thema Tod. Die große Angst ist, den Tod einzuladen, wenn man zum Beispiel über Patientenverfügungen spricht. Oder dement zu werden, wenn man über die Krankheit spricht. Ich verliere aber langsam die Angst davor, dement zu werden. Natürlich würde ich weinen, wenn ich die Diagnose bekomme, aber es ist nicht mehr so grauenvoll, weil ich mich jetzt schon damit auseinandersetze.
Die Krankheit nimmt uns das, was uns ausmacht: die Erinnerung. Wie kann man damit seinen Frieden machen?
Man kann sich auch mit der Krankheit noch entwickeln. Die Menschen driften vielleicht immer mehr in ihre Welt, aber sie sind ja noch da. Und ich finde den Begriff Demenz auch total bescheuert, denn er bedeutet „ohne Geist“ oder „weg vom Geist“. Aber wenn die Demenzkranken etwas sind, dann sind sie Geist und Seele, denn sie kommen ja ganz zu sich und sind kaum noch dabei, zu denken oder sich zu strukturieren. …“
Da spricht mir Sophie Rosentreter aus der Seele! Nicht mehr zu denken oder sich zu strukturieren – Menschen auf dem spirituellen Trip trainieren das, oft erfolglos, über Jahrzehnte.