Selbsterkenntnis und Eigensinn


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8.9 Maske ablegen

8 Wer antwortet?


Natürlich gibt es auch andere Wege, mit der Angst umzugehen. Das scheint mir der wichtigste Teil des Angst-Problems - es ist der Widerstand dagegen; ich sage ihr 'geh weg!', 'ich will dich nicht!', 'ich will nichts mit dir zu tun haben!'. Der Widerstand erzeugt das Fortdauern, oder, wie ich von Byron Katie hörte 'resistance is existence'. Ich kann das jedesmal beobachten, wenn ich mir in der Küche in den Finger geschnitten habe. "Autsch!": Schmerz und dann Widerstand. Wenn ich mich entspanne und 'durch den Schnitt ein- und ausatme', dann verschwindet der Schmerz sofort und ich kann meinem Finger beim Heilen zuschauen. Der Widerstand ist wie ein Staudamm, der verhindert, daß man von dem Schmerz überschwemmt wird. Er ist jedoch auch eine Blockade, die verhindert, daß der Schmerz wieder abfließen kann.

Kürzlich hörte ich auf einem Tonband Katie sagen "Wenn Du eine Überzeugung töten willst, dann liebe sie". Meine Angst da draußen ist wie ein verlorenes Kind, allein gelassen, zurückgewiesen. Alles, wonach sie fragt, ist ein kleinwenig Liebe, ein kleinwenig Anerkennung. Sie sucht nach einem Platz in mir. Sie möchte, daß ich mich ihrer annehme.

Jeder tut das in seiner Weise. Man kann das in eindrucksvoller Weise kennen lernen, wenn man Menschen in leidvollen Situationen erlebt. Solche Beispiele fand ich in der website www.witwerundwaise.de

Wenn ich Leidgefühle
[1], Ängste, unangenehme körperliche Empfindungen habe, dann übe ich mich, mich genau mittendrin aufzuhalten. Ich begegne der Angst da, wo sie sich im Körper zeigt. Ich mag mir solches Bewußtsein, diese Bewußtheit vorstellen als mich wie eine kluge, liebende Mutter, die ein gestreßtes Kind im Arm hält. Einer meiner Lehrer zeigte mir das mal: "Lade die Empfindung ein; ja, das fühlt sich erschreckend an. Es ist schmerzhaft, mühevoll. Aber ich kenne keinen anderen schnelleren Weg als dies."

Halte die Empfindung, halte die Angst. Sei mit ihr. Fühle sie. Aktiviere alles, was Du an mütterlichen Instinkten findest - male Dir ein Bild, ein kleines verletzliches Neugeborenes, ein Baby, stell Dir alles vor, was Dein nährendes Selbst wecken kann. Streichele die Teile Deines Körpers, da wo die Angst sitzt, sprich zu ihr, sei aufrichtig mit ihr. Sag ihr, daß Du erschreckt bist von ihr, daß Du aber lernen willst, ihr ein Freund zu werden. Den grauen See, der Deinen Bauch als Bild der Angst füllt, lade ihn ein in die Wärme und das goldenen Licht Deines Herzens. Komme in eine Beziehung zur Angst. Sie wird Dir so dankbar sein. Es mögen einige Tränen fließen, einiges an Energie mag den Körper bewegen - großartig!

Das ist zu Anfang nicht einfach, aber, Hey, wir sind Krieger. Liebe es zu Tode. Du wirst finden, es gibt keinen Tod, nur Verwandlung. Angst wandelt sich in Lust. Der Energie ist es egal, wie Du sie etikettierst, mit plus oder minus. Sie ist. Du bist.

Das Wort von der
Maske ist eine Modellvorstellung. Ich glaube nicht, daß einer, selbst der erleuchtetste Guru, ohne solche 'Vorhänge' leben kann. Allein schon, in Worten zu kommunizieren, ermöglicht, hinter Geschichten zu verschwinden. Da sind immer wieder die kleinen Tröstungen, mit denen ich die alltägliche Wirklichkeit mir erträglich illusioniere. Aber, beobachtend, kann ich mir dabei wohlwollend zuschauen und hinter der Illusion meine Ängstlichkeit sehen und sie dann "Ängstlichkeit" nennen. Damit passiert etwas kleines Neues: Der Vorhang erscheint nun nicht mehr als 'das wirkliche Leben'.

Ich werde vom verurteilten Beobachteten zum urteilslosen Beobachter, vom Benannten zum Benenner. Ich nehme meinen Vorhang der Illusion ein wenig zur Seite und es passiert etwas großes Neues: Ich kann und mag mich lieben wie ich bin.

Das Neue, diese neue Liebe findet ja etwas Uraltes: Meine Menschenhaftigkeit. Damit bin ich geboren. Die ich hatte versteckt aus Angst, derselben Angst, die mich den Vorhang zuziehen ließ, Angst vor mir und der Welt, schon in frühesten Tagen, also in vorsprachlicher Zeit. Um die Angst zu ertragen, habe ich vergessen, daß ich sie vergessen hatte. Da ist es heute nicht leicht, das in Worte zu fassen. Worte sind 'eins nach dem anderen', eine Perlenschnur. Dies, was hier ausgedrückt werden soll, ist ein dichtes funktionales Netz, ohne Anfang und Ende, wie eine Kugeloberfläche.

Das Neue bedeutet auch, ich kann jetzt registrieren, was ist, nun ohne Schuldzuweisung und ohne Selbstmitleid. Etwas abzulehnen ist so einfach, schwieriger schon das Annehmen und hohe Schule ist das Tai Ji Quan: Form und Absicht, Xing und Yi, von beiden völlig erfüllt als den natürlichen Bestandteilen meines Seins in jedem Augenblick erlebe ich die richtige Reaktion im Einklang mit der Natur. Ich bin dankbar für die Lernerfahrung und erlebe sie im richtigen Zeitpunkt, wo ich das Alte auflöse durch Loslassen oder Annehmen. Ohne Einmischung von außen kann ich Meines tun. Pema Chödrön
[2] beschreibt das sehr schön und eindrucksvoll mit den Bodhichitta-Übungen aus dem tibetischen Buddhismus.

"Ich liebe mich, so, wie ich bin", der amicative Kernsatz, das ist ja kein Versuch zum 'Augen zu und durch' oder ein Aufruf zum fatalistischen Stillstand, gar zum plumpen Egoismus, ist keine Absage an Selbststeuerung. Selbstbeobachtung ist keine eitle Selbstbespiegelung. Selbstüberwindung ist keine Sportdisziplin. Lieben ist leben. Leben ist Rhythmus. Ich bin in ständiger Veränderung, immer! Und dann schaue ich als mein mitfühlender Beobachter auf meine Ängste und Leiden, wobei sie sich auflösen können.

"Ich liebe mich, so, wie ich bin" meint, daß ich meinen Ist-Zustand und meine Veränderungen liebevoll für mich selbst achte, mich mit gutem Denken, guten Worten, gutem Handeln dabei begleite. Nicht aber mit Bewertungen oder mit pädagogischer Gewalt über mich herfalle: 'Gut gemacht', 'Das reicht nicht', 'Du machst immer denselben Blödsinn', 'Du mußt besser werden', 'Weiterkommen', 'Hör auf uns, diese Art Spiritualität ist zu Deinem Besten'. Nein, ich sehe auf mich, ich höre auf mich und ich bin achtsam für alle meine Möglichkeiten, bin mein Liebender - im Austausch mit meiner Umwelt, im Gegenüber mich erkennend. Ohne Bewertung: keine Beschönigung, keine Beschuldigung, kein Urteil.

Von diesem Punkt kann ich Zugang erlangen zum urteilslosen, besitzfreien "ich liebe
Dich wie Du bist". Wahrnehmung der Resonanz von Wellenpaketen. Das stärkt mein ich liebe mich wie ich bin.

Mitgefühl, Empathie, Selbstverantwortung bekommen eine andere Qualität: Ich kann meine Verwirrung an Dir wahrnehmen und meinen Schmerz loslassen. Der durch Ansprüche, sich kümmern müssen, Besitzstreben, Sexualität und Romantik verwirrte Begriff 'Liebe' verliert sein Schillern und beginnt zu leuchten. Liebe ist kein Gefühl - es ist ein Zustand, Ausdruck von Ausdehnung. Sie ist der Gegenpol von Angst, dem Ausdruck von Zusammenziehung, Abwesenheit von Liebe.

Der Begriff 'Menschenwürde' verliert sein hohles Pathos. Würde
wird, Deine, meine. Ich erkenne, daß ich nicht zu bemessen bin nach meinem Wert - als Leistungserbringer oder Leistungskonsument, als Mitglied einer Familie, einer Nation. Werte sind Ausdruck von Handelsware, sind Traditionen von Betrachtungsweise. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", dieser Vordersatz unserer deutschen Verfassung, richtet sich an alle Staatsgewalt, nicht an die selbstverantwortlichen Bürger dieses Staates. "Alter in Würde" [3] ist keine Forderung an andere, sondern ein Aufruf an mich, sie für mich in mir zu erkennen, mich strebend zu bemühen in Selbstverantwortung herauszutreten aus der Ohnmacht meiner Kindheitsängste und einzutreten in meine Eigenmacht.

Die Transformation der
Maske erfordert, daß wir um den Tod unseres idealisierten Selbst trauern. Es ist eine leblose Fassung unseres Selbst, die aufgegeben werden muß, damit wir wieder zu dem werden, wer wir eigentlich sind. Ich habe das Glück, in einer Zeit zu leben, wo es nicht mehr lebensgefährlich ist, offen die Kette der Traditionen zu durchbrechen und vom Identifizieren mit der Identifikation der Vorangehenden zurückzukehren in meine eigene Identität.

Oben hatte ich das Beispiel Egoismus. Das ist eine Sache. Aber es gibt genügend andere Gefühle, die denselben Prozeß durchlaufen und die Persönlichkeit verfremden. Wenn Menschen gefühlskrank sind, ist das fast immer ein Zeichen für eine
Maske. Sie merken nicht, daß sie eine Lüge leben. Sie haben sich eine irreale Ebene geschaffen, die nichts mit ihrem wahren Selbst zu tun hat. Also sind sie nicht ehrlich sich selbst in ihm, ihrem wahren, dem Höheren Selbst, gegenüber.

Wie gesagt, ehrlich zu sein,
'ich liebe mich, so, wie ich bin', heißt nicht, seinem Niederen Selbst nachzugeben, sondern sich liebevoll ganz seiner selbst und seiner Rhythmen von Veränderung bewußt zu werden. Selbst wenn ich in einer Situation mich völlig - nach meinen momentanen Regeln - mies verhalte, ganz opportunistisch mit den Wölfen heule, so kann ich das als bewußte Entscheidung tun, ohne Schuldzuweisung, ohne Selbstmitleid dann dem Kaiser - wem auch immer ich in dem Moment dieses Attribut zuschreibe - geben, was des Kaisers ist.

Die bewußte Entscheidung läßt mich den Preis zahlen. Das macht den Unterschied aus zum "seinem
Niederen Selbst nachgeben". Augustinus sagte das so "Crede firmiter et pecca fortiter" = "Sei fest im Glauben und sündige tapfer". Ich bin in der festen Absicht, habe im Herzen das klare Ziel und sehenden Auges, ohne mich zu belügen, verfehle ich es: Sündigen als bewußte Entscheidung: Ich handele - und das schmerzt mich - so, wie es mir für die momentane Gegebenheit, zum Abwenden der Not für mein leibhaftiges, mein geistiges oder mein soziales Überleben sinnvoll erscheint - tue mein Bestes.

Macht euch nicht selber vor, lediglich aus 'Notwendigkeit' oder innerer Überzeugung und Klarheit heraus zu handeln. Seid euch im Klaren darüber, daß eure Gefühle in vieler Hinsicht nicht sauber sind. Dann habt ihr eine gute Ausgangsposition. Es wird euch leichter fallen, euch in dieser Hinsicht wahrzuhaben, wenn ihr erkennt, daß hinter eurer niederen Schicht euer
Höheres Selbst lebt, eure höchste und absolute Wirklichkeit, die ihr letztlich ganz ausfüllen wollt. Der Tropfen will zum Meer.

Um eure höchste und absolute Wirklichkeit zu erreichen, müßt ihr zunächst euer
Niederes Selbst, eure zeitlich begrenzte Wirklichkeit annehmen, statt sie zu verbergen, weil sonst nur die Distanz zwischen euch und eurer absoluten Wahrheit, eurem Höheren Selbst größer wird. Um nun das Niedere Selbst akzeptieren zu können, muß die Maske herunter, koste es, was es wolle. Ihr könnt selbst diesen Schritt machen, wenn ihr euch die drei hier beschriebenen Selbste vergegenwärtigt im geduldigen, liebevollen Untersuchen der Gedanken. Die Lichtseele wird wach und sie überwindet die Dunkelheit.

Weiter in den Worten des Pfad: Sich selbst zu belügen und nicht über die eigenen Beweggründe und Empfindungen nachzuspüren, sie aber schalten und walten zu lassen, mag zeitweilig scheinbar vollauf genügen, tut es aber nicht wirklich. Wer glücklich und gesund und mit sich im Frieden sein will, sein Leben wahrlich erfüllen will, wer in Fühlung mit Gott, somit auch mit sich selber stehen will, muß sich selber einige Fragen stellen: Was bin ich im Augenblick wirklich? Was ist mein
Höheres Selbst, was zeigt sich als mein Niederes Selbst? Worin könnte mein Betrug, meine Maske, bestehen?

Wichtig für uns alle ist, daß wir versuchen, unser inneres Auge darin zu üben, uns selbst und andere aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Je wacher wir spirituell sind, um so leichter werden wir uns und die anderen so wahrnehmen. Haben wir Kontakt mit unserem
Höheren Selbst und ist durch unsere spirituelle Entwicklung erst einmal unsere Intuition geweckt, werden wir für die Maske völlig anders empfinden. Wir werden die Übelkeit erregenden Auswirkungen des Maskenselbst spüren, zuallererst des eigenen, ungeachtet, wie freundlich es sich auch geben mag.

Wenn jemand bereit ist, Hilfe anzunehmen, ist der Teil des Selbst, der Wille und Bewußtsein bestimmt, auf dem richtigen Wege. Nun geht es nur noch darum, mit diesen Wahrheiten in die unbewußten Schichten der Persönlichkeit vorzudringen, so daß die inneren Widerstände überwunden werden. Das aber kann jeder nur selbst. Willst du also diesen Weg gehen und von deinen Gemütskrankheiten geheilt werden, dann ist es wichtig, daß du diese Prinzipien verstehst. Auch wenn du kein sogenannter 'Neurotiker' bist oder in deinem Fall nur kleinere Abweichungen vom göttlichen Gesetz bestehen, wird es dir doch sehr nützen, wenn Du alles verstehst und darüber meditierst.

Gelingt es Dir für Dich bzw. dem Patienten, von einem Helfer unterstützt, diese
Maske abzunehmen, wird der Patient dadurch konfrontiert mit seinem Niederen Selbst, und diese Erfahrung kann so niederschmetternd sein, daß er vollständig zusammenbricht. Wäre diesem Menschen jedoch gesagt worden, was wir jetzt wissen, wäre er also vorbereitet, was ihn erwartet, könnte viel Härte und oft sogar Unglück vermieden werden.

So läßt sich erklären, warum eine Person in eine Krise fallen kann, in der ihre Bewußtseinsverfassung vielleicht schlimmer wird als vor Beginn der Behandlung. Das passiert leicht, wenn der Patient oder der behandelnde Psychotherapeut, sich streng an eine gedankliche Schule hält, spirituelle Wahrheit nicht anerkennt und mit solchen Dingen auch nicht sehr intuitiv umgeht.






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