Selbsterkenntnis und Eigensinn


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4.2 Bilder

4 Wissen und Wahrheit?


Die Bilder aller Sinnesmodalitäten kommen aus dem Unbewussten, diesem dem Tagesbewusstsein nicht zugänglichen Bereich des Bewusstseins. Sie werden zu Klang. Der Klang umschreibt Inhalt. Im Tagesbewusstsein, das wie eine sehr dünne, aber undurchsichtige Haut das Unbewusste umhüllt, wird aus dem Klang dann Bedeutung und so kommen schließlich die Bilder zu Worten in Sätzen.

Wenn ich in zehn Jahren diese Sätze lesen werde, werden mir möglicherweise ganz andere Bedeutungen und neue Bilder entstehen, falls ich mich nicht durch Erinnern bewegungslos gemacht und so mich in meiner Tradition festgebunden habe. "Die Sätze, die ich schreibe, sagen mir etwas, das ich vorher nicht gewusst habe" hörte ich einmal von Martin Walser in einem Interview.

Damit verliert der Spruch "was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" diesen Anhauch von Zynismus. Er verwandelt sich in das liebevoll, distanzierte Anerkenntnis meiner nicht vorausschaubaren Fülle von Möglichkeiten. Was tue oder sage ich wohl als nächstes?

Worte drücken nur einen winzigen Bestandteil dessen aus, was der Mensch weiß. Denn was wir denken oder gar sagen können, ist immer unermesslich viel weniger als das, was wir erfahren. Der Grund dafür ist, dass sich ein Ereignis genauso endlos beschreiben lässt, wie man einen Zentimeter endlos unterteilen kann; außerdem gibt es auch noch Erfahrungen, die überhaupt nicht der Struktur unserer Sprache entsprechen. Solche Erfahrungen sind unaussprechlich, lassen sich folglich sprachlich genauso wenig fassen, wie man Wasser mit einem Sieb schöpfen kann.

Allerdings steht der Intellektuelle, also der Mensch als Meister der Sprache, immer in der Gefahr, das, was zu wissen möglich ist, auf das beschränken zu wollen, was in Worten ihm zu beschreiben möglich ist. Folglich neigt er dazu, den Kopf zu schütteln und misstrauisch zu werden, wenn jemand versucht, mit Hilfe der gewöhnlichen Sprache auf eine Erfahrung hinzudeuten, welche die Logik dieser Sprache erschüttert, also auf eine Erfahrung, die sich mit Worten nur um den Preis umschreiben lässt, dass diese Worte ihren geläufigen Sinn verlieren.

Der Intellektuelle wird dann skeptisch und vermutet, hier werde verworren und mit unscharfen Begriffen gedacht, und er schließt daraus, hinter einem so offensichtlich sinnlosen Gebrauch von Wörtern können keine wirkliche Erfahrung stecken.
[1]

Die Wörter kommen aus dem Bewusstsein. Hier, auf dem Papier, wäre das Bewusste nicht anders mitteilbar. Die Wörter sind nur ein kleiner Bruchteil der gewöhnlichen, direkten Kommunikation zwischen Menschen, wo mit 93% der Ausdruck von Stimme und Körper überwiegen beim Transportieren dessen, was 'eigentlich' zwischen den Gesprächspartnern ausgetauscht werden will. Darüber hinaus, diese restlichen 7% Wörter sind nur ein geradezu winziger Bruchteil dessen, was wir als 'Wirklichkeit' erleben. Doch, wir schreiben als sei das Wort die Wirklichkeit. Können wir überhaupt erkennen, ob die Fakten die Sprache oder ob die Sprache die Fakten schafft? Vielleicht müssten wir dafür die wahren Meister der Sprache, die Poeten, fragen.

Der Dichter und Übersetzer Oskar Pastior sinniert "Übersetzen ist das falsche Wort für eine Sache, die es nicht gibt" und "Was steckt in diesem Text, was zeigt sich mir?" Als "sich selbst lesendes Unding" hat er die Sprache in einer Frankfurter Poetikvorlesung einmal charakterisiert: "Man kann sie hören, aber nicht anfassen. Es ist in ihr angelegt, dass man sie mehrfach benutzt, dass sich Texte mit ihrer Umgebung, ihrem Gegenüber verändern". Der Text entsteht erst beim Lesen, im Kontakt mit dem Lesenden, und bei jeder Lesung neu. So ist Rezeption immer die Fabrikation von Bedeutung.


  • [1] Alan Watts: "Leben ist jetzt"; Freiburg, 1998, (Herder-Tb)



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